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Wenn der Fan-Aktivismus zur Schule geht

Junge Dame in Harry Potter Outfit hält eine kleine Tafel, auf der "Fan activism goes to school" steht
(c) Ariane Manutscheri

Von „Nerdfighters“, über politischen Protest, inspiriert von den Hunger Games, und Harry Potter Leser*innen, die das Böse in der echten Welt ganz ohne Zauberstab bekämpfen wollen

…und einer angehenden Lehrerin/Dissertantin, die darin enormes pädagogisches Potenzial wittert

Es passiert in letzter Zeit immer öfter. Ich werde auf Headlines angesprochen, die sich an der Schnittstelle zwischen politischem und popkulturellem Weltgeschehen ansiedeln. Kürzlich ging es um Demonstrant*innen in Thailand und ihren Hunger Games-Gruß. Vor ein paar Wochen war es die JK Rowling Kontroverse rund um ihre Tweets zum Thema Transsexualität und ihre neueste Buchveröffentlichung. Ich werde nach meinen Beobachtungen und Einschätzungen zu diesen Phänomenen gefragt: „Hat das nicht auch irgendwie mit dem zu tun, woran du arbeitest?“

Ja, das hat es: mein PhD-Projekt, welches den Arbeitstitel „Fan Activism Goes to School:  Harnessing the Socially Transformative Power of Fandom in Austrian EFL Classrooms“ trägt, beschäftigt sich mit Fan-Aktivismus.

In diesem ersten Teil meines zweiteiligen Blogposts möchte ich mich genauer mit dem Phänomen Fan-Aktivismus selbst befassen, bevor es im zweiten Teil um dessen Entfaltungsmöglichkeiten in der Schule geht.

Was ist Fan-Aktivismus?

Das erste Mal wurde ich 2010 auf Fan-Aktivismus aufmerksam. Haiti war von einem katastrophalen Erdbeben erschüttert worden. Eine gemeinnützige Organisation namens Harry Potter Alliance half – und zwar auf ziemlich eindrucksvolle Weise. Unter der Kampagne „Helping Haiti Heal“ wurden Anhänger*innen der Harry Potter Fangemeinde (aber auch anderer Fandoms) mobilisiert und zum Spenden aufgerufen. Innerhalb von nur zwei Wochen konnten sie 123,000 Dollar sammeln und fünf Flugzeuge (die Namen von Harry Potter Charakteren trugen) mit medizinischen Versorgungsgütern nach Haiti schicken1. Mein damals 16-jähriges Harry Potter-Fan Herz schlug höher und war zutiefst beeindruckt von dieser Möglichkeit Populärkultur zu nutzen, um Gutes zu tun. Ich beobachtete die Organisation weiter und lernte immer mehr Kampagnen kennen, in denen über Narrative aus der Populärkultur Brücken zu den Problemen der „realen“ Welt geschlagen wurden, um für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, und vor allem jüngeren Menschen über die ihnen vertraute Welt ihres Fandoms zivilgesellschaftliche Fragen näher zu bringen.

Für Fan-Aktivismus gibt es eine Reihe einander überlappender, teilweise auch widersprechender Definitionen. Es gibt die, die meinen, Fan-Aktivismus sei apolitisch und beschäftige sich traditionell damit, Anliegen wie die Absetzung einer geliebten Fernsehserie zu bekämpfen (siehe z.B. Earl und Kimport 2009)2. Dann gibt es aber eine Reihe von Publikationen, die sich explizit mit der Verbindung von Fankultur und soziopolitischen Themen beschäftigen, beispielsweise rund um das Civic Imagination Project der USC Annenberg, geleitet vom Medienwissenschaftler Henry Jenkins. Jenkins definiert Fan-Aktivismus wie folgt:  „‘fan activism’ refers to forms of civic engagement and political participation that emerge from within fan culture itself, often in response to the shared interests of fans, often conducted through the infrastructure of existing fan practices and relationships, and often framed within metaphors drawn from popular and participatory culture“(Jenkins 2012, 1.8)3.Vielleicht lässt sich das Phänomen Fan-Aktivismus besser verstehen, wenn wir einige Kampagnen näher betrachten.

Faszinierende Fallstudien aus dem Feld der partizipativen Kultur

Für mein PhD Projekt begann ich mich in die facettenreiche Welt des Fan-Aktivismus einzulesen. In einer Spezialausgabe (2012) des Journal of Transformative Works (einer der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften rund um das Thema Fandom)4, aber auch in einer brandneuen Publikation von Jenkins, Shreshtova und Peters-Lazaro, Popular Culture and the Civic Imagination: Case Studies of Creative Social Change (2020), findet sich eine Vielzahl unterschiedlichster Beispiele für Fan-Aktivismus5. Da gibt es etwa selbsternannte „Nerdfighters“, die, inspiriert und fasziniert von den Werken und der Social-Media Präsenz des Jugendbuchautors John Green und seinem nicht minder populären Bruder Hank, jährlich seit 2007 mit dem „Project for Awesome“ ein Wohltätigkeitsevent auf Youtube veranstalten, bei dem Youtuber*innen durch kreative Videos ihre Lieblings-Charity Organisation promoten und damit Spenden sammeln. Im ersten Jahr kamen über 400 Videos zusammen, das Projekt wuchs stetig, so auch der Betrag der gesammelten Spenden, der 2019 beispielsweise 1,423,444 Dollar betrug6.

Schlagzeilen der vergangenen Wochen und Monate bieten noch mehr Beispiele. In Thailand wird schon seit 2014 immer wieder bei Protesten gegen die Machthaber das „Drei-Finger Handzeichen“, bekannt aus den Hunger Games, verwendet. In der dystopischen Trilogie von Suzanne Collins gilt der Gruß als Zeichen des Widerstands gegenüber der brutalen, diktatorischen und ausbeuterischen Herrschaft des Kapitols. Über die Verwendung der Geste werden Parallelen zwischen dem Regime in den Büchern und der realen Regierung Thailands gezogen und von Protestgruppen genutzt, um globale mediale Aufmerksamkeit für ihre Demonstrationen zu erlangen7.

Ist Fan-Aktivismus nun Spendensammeln oder Demonstrieren? Geschieht er online oder auf der Straße? Fan-Aktivismus, so hat sich in meiner Recherche gezeigt, trägt viele Gesichter. Ungeachtet dessen, oder vielleicht gerade weil das Phänomen sich strikten Definitionen entzieht, birgt es meiner Ansicht nach bedeutsames pädagogisches Potenzial.

Was genau dieses besondere Potenzial ausmacht, möchte ich im zweiten Teil meines Blogposts erzählen.

Ariane Manutscheri ist Doktoratsstudentin im Bereich der English and American Studies. Im April 2020 schloss sie ihr Lehramtsstudium in den Fächern Englisch und Psychologie/Philosophie ab. Bereits in der dazugehörigen Diplomarbeit „‘A Word Other than Crazy’: Exploring the Stigma around Mental Health through Young Adult Literature“ beschäftigte sie sich mit den Verbindungen zwischen populären Jugendtexten und deren sozial transformativem Potenzial. Die Autorin arbeitet als Projektmitarbeiterin für die Forschungsplattform #YouthMediaLife.

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  1. The Harry Potter Alliance Home. The Harry Potter Alliance. n.d. 15 Oct 2020.
  2. Earl, Jennifer, and Katrina Kimport. “Movement Societies and Digital Protest: Fan Activism and Other Nonpolitical Protest Online.” Sociological Theory 27.3. (2009): 220-243.
  3. Jenkins, Henry. „‘Cultural Acupuncture’: Fan Activism and the Harry Potter Alliance.Transformative Works and Cultures 10 (2012).
  4. Jenkins, Henry. „‘Cultural Acupuncture’: Fan Activism and the Harry Potter Alliance.Transformative Works and Cultures 10 (2012).
  5. Jenkins, Henry, Gabriel Peters-Lazaro, and Sangita Shresthova. Popular Culture and the Civic Imagination: Case Studies of Creative Social Change. New York: New York UP, 2020.
  6. Project for Awesome 2019. Hank and John Green (Creators) Foundation to Decrease World Suck. 10 May 2020.
  7. The story behind Thailand’s ‚Hunger Games‘ protest saluteThe Japan Times. 15 Oct 2020.

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