„Safe“?!: Journalismus, Terrorismus und Social Media

Screenshot von Facebooks Safety Check
Screenshot by Lisza-Sophie Neumeier

Der Safety Check, der von Facebook in der Nacht des Terroranschlags in Wien am 2. November aktiviert wurde, ermöglichte den Nutzer*innen, die in Wien leben, anderen Menschen mitzuteilen, dass sie „sicher“ seien. Aber nicht sicher bzw. nicht zuverlässig waren die Informationen, die daran anschließend auf Facebook aktiviert wurden, wenn man angab, dass man „safe“ sei: Denn es wurde damit auch ein Feature – eine Diskussionsseite zum Terroranschlag – aktiviert, die nicht moderiert wurde, sodass hier Videos, die den Terroristen und den Mord an einem Passanten zeigten, hochgeladen werden konnten und Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreitet wurden1.
Ein Beispiel dafür, wie es nicht funktionieren sollte. Auch der Privatsender oe24.TV zeigte die Terror-Videos. Deshalb sind beim Presserat auch mehr als 1500 Beschwerden über die Terrorberichterstattung eingelangt.
Andere Sender wie der ORF und Puls 4 spielten weder die Videos noch zeigten sie die Bilder .

Für die öffentliche Diskussion eröffnen sich in diesem Bereich unterschiedliche Problemperspektiven: Die eine ist, wie Menschen die Berichterstattung rezipieren, und die andere, wie Journalist*innen berichten, und wie es um die journalistische Verantwortung bestellt ist2. Die Aufgabe von Journalist*innen ist es, für wichtige Themen und Ereignisse Öffentlichkeit herzustellen und zu berichten3. Das Publikum muss sich darauf verlassen können, dass Journalist*innen nach bestem Wissen und Gewissen informieren. Aber es gibt auch eine Verantwortung des Publikums, die sich darin äußert, dass man selbst entscheidet, welche Medien genutzt werden, und ob man sich in dem konkreten Fall die Videos anschaut oder nicht. Gefragt ist also auch eine Publikumsethik.

Über die Schulter schauen
Lichtermeer für die Opfer des Terroranschlags in Wien
(c) Lisza-Sophie Neumeier

Für die Journalist*innen ist wichtig, dass für das Publikum nachvollziehbar ist, was wie und warum berichtet wird, und dass trotz schwieriger Situationen auch einmal thematisiert wird, dass man eben noch nicht ausreichende Informationen hat. Armin Wolf hat in der Live-Sendung immer wieder darauf verwiesen, dass ihm die Zuschauer*innen beim Arbeiten über die Schulter schauen konnten; er bekam von der Redaktion über den Teleprompter aktuelle Informationen. Die Zuschauer*innen konnten so erleben, dass die Situation auch für die Journalist*innen nicht überschaubar war, dass sie darauf angewiesen waren, was von offizieller Seite bestätigt wurde, und dass versucht wurde, unterschiedliche Kontakte auch auf den verschiedenen (Social-Media-) Plattformen zu aktivieren.

Realität und Spiel

Es war ja kein Computerspiel mit einem Terroristen, der in einer Cyberwelt sein Unwesen treibt, nein, es hat eine reale Person Menschen ermordet. Und da sind wir bereits im Kern der Auseinandersetzung darüber, wie berichtet werden kann bzw. soll. Denn ein wesentliches Ziel der Terroristen ist es, dass ihre Taten in der Öffentlichkeit bekannt und sichtbar werden und dadurch Angst und Schrecken verbreitet werden, liberale Gesellschaften in ihren Grundfesten erschüttert werden.

Vernetzung und Öffentlichkeit

Nicht über das Ereignis zu berichten, ist keine Alternative, es ist aber zu überlegen, wie berichtet und wie eine Beziehung zum Publikum hergestellt werden kann. Junge Menschen sind sehr gut vernetzt, teilen gerne Inhalte und unterhalten sich mit ihren Freunden. Auch in der Terrornacht sind viele Meldungen und Informationen geteilt worden, viele konnten das Ereignis aber auch nicht richtig einschätzen und hatten mehr Fragen als Antworten. Der Reuters Digital News Report für Österreich zeigt, dass die 18-24-Jährigen vor allem YouTube nutzen, um Nachrichten zu sehen, und sie geben auch an, vor allem soziale Medien als Hauptnachrichtenquelle zu nutzen4. In anderen Studien wird deutlich, dass es zunehmend zu einer Entkoppelung von Nachrichten und journalistischen Quellen bei Jugendlichen kommt5.

Und da besteht ein Handlungsbedarf, der nicht neu ist, aber gerade bei dramatischen und traumatisierenden Ereignissen offenkundig wird: einerseits muss mehr Nachrichten- bzw. Medienkompetenz in den Schulen vermittelt werden, andererseits auch in der Öffentlichkeit ein Diskurs über Journalismus geführt und dessen Relevanz für die Gesellschaft debattiert werden. Ohne Journalismus ist eine gut funktionierende Demokratie nicht möglich, nicht „safe“. Dies gilt für alle – unabhängig von ihrem Alter.

Petra Herczeg ist stellvertretende Studienprogrammleiterin des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Senior Lecturer und Privatdozentin, die sich vor allem mit Migration, Medien, Journalismus, Anerkennung und jungen Menschen befasst. Sie ist Core-Team-Mitglied der #YouthMediaLife-Forschungsplattform.

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  1. Facebook zeigt Mordvideos und Falschmeldungen unter Safety Check, 03.11.2020, https://futurezone.at/digital-life/facebook-zeigt-mordvideos-und-falschmeldungen-unter-safety-check/401085252
  2. Warum Medien über den Terror berichten. Süddeutsche Zeitung 28.06.2015, 18.11.2020,
    https://www.sueddeutsche.de/medien/terrorismus-und-journalismus-warum-medien-ueber-den-terror-berichten-1.2540931
  3. Pöttker, Horst (2000). Kompensation von Komplexität. Journalismustheorie als Begründung journalistischer Qualitätsmaßstäbe. In. Löffelholz, Martin (Hrsg.). Theorien des Journalismus, Wiesbaden, 375–390.
  4. Digital News Report – Jahresbericht 2020, 10.11.2020, http://www.digitalnewsreport.at/
  5. Gering ausgeprägtes Interesse? Verständnis von Journalismus im Wandel, 07.10.2020, https://innovation.dpa.com/2020/10/07/junge-menschen-nachrichten-journalismus/

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