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Want to get SuperBetter? Eine Resilienz-App unter der Lupe

Resilienz bedeutet Belastbarkeit und Flexibilität, auch unter widrigen Umständen. Wer wäre das nicht gerne? Die amerikanische App SuperBetter verspricht ca. einer Million User*innen weltweit, ihre psychische Resilienz steigern zu können, wenn sie die App nur regelmäßig nutzen. Wie sieht das aus, was passiert dabei mit mir als User*in, und was bedeutet es für unsere Gesellschaft?

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Krisen

Wenn es uns im noch jungen Jahr 2022 an einem nicht mangelt, sind das wohl Krisen. Kein Wunder, dass der Begriff Resilienz in den unterschiedlichsten Bereichen schwer in Mode ist. Angewandt wird er unter anderem auf Ökosysteme oder die Energieversorgung. Doch hier soll es speziell um psychische Resilienz gehen. Waren die ersten Auftritte dieses Konzepts in den 70ern noch auf einen entwicklungspsychologischen Fachdiskurs begrenzt, ist es spätestens seit den 2010er Jahren in der breiten Psychologie angekommen und dominiert, nicht erst mit der Covid-Pandemie, zahllose populärwissenschaftliche Bücher. Die „Fähigkeit, sich von negativen emotionalen Erfahrungen nicht unterkriegen zu lassen (…) und sich flexibel an stressige Erfordernisse anzupassen1, klingt verheißungsvoll. Tatsächlich kommt das Wort Resilienz ursprünglich aus der Technik, dort wird ein Material als resilient bezeichnet, das sich weit verbiegen lässt, ohne zu brechen, wie z.B. Metall.

Ob sich dieses Konzept überhaupt sinnvoll auf die individuelle Psyche übertragen lässt – und wenn ja, ob als angeboren oder erlernbar – wurde durch Wissenschaftler*innen von Beginn an kontrovers debattiert.2 Ungeachtet dessen hat sich in den letzten Jahren ein breites Angebot an Trainings, Coachings und Ratgebern gebildet, die versprechen, die persönliche Resilienz ‚trainieren‘ und verbessern zu können – auch für Menschen, die vermeintlich schon resilient sind. Wie ein Muskel, den man regelmäßig aktivieren muss, damit er nicht verkümmert, kann Resilienz „gepflegt und gesteigert, aber auch vernachlässigt werden“.3

There’s an app for that

Apps begleiten unseren Alltag. Morgens rechtzeitig aufstehen, das Wetter checken, den Tag planen, sich mit Freund*innen verabreden oder Bankgeschäfte erledigen. Ohne Wecker-, Wetter-, Kalender-, Messenger- oder Banking-App kaum mehr vorstellbar. Auch eine Psychologie, die Menschen in ihrer alltäglichen Kultur, ihrer kollektiven Technik- und Mediennutzung ernst nimmt, muss sich mit Apps auseinandersetzten. Das betrifft zunehmend auch die Bereiche ‚mental wellbeing‘ bzw. psychische Gesundheit. Eine Resilienz-App wie SuperBetter liefert dabei einen spannenden Zugang, weil sie eine ganz konkrete Antwort auf die Frage ‚Was ist Resilienz und wie wird sie gemacht‘ anbietet.

Die Walkthrough-Methode

Die wenigsten Menschen befassen sich mit Apps, indem sie deren algorithmische Struktur analysieren oder erstmal alle Gebrauchsanweisungen und Tutorials durchlesen. Meist haben wir es mit der Benutzeroberfläche, dem graphischen User Interface (UI) zu tun: das heißt mit Bildern, Animationen, Textfeldern, Menüs, Buttons, Reglern, Auswahlkästchen usw. (natürlich sind auch Töne und Vibration relevant). Hier wird Interaktion, also das Zusammenspiel zwischen mir als User*in und der App, gestaltet. Und genau da setzt die Walkthrough-Methode an.4 Forschende begeben sich in die User*innen-Position, d.h. nutzen die App selbst eine Zeit lang – vom Download und erstem Öffnen/Anmelden über den täglichen Gebrauch bis schließlich zum Ausstieg. Dabei werden Feldnotizen und Screenshots angefertigt, die später – in aller Ruhe, oft auch gemeinsam mit anderen – ausgewertet und interpretiert werden können. Auch die ‚Selbstdarstellung‘ einer App in Werbekampagnen und Social Media, FAQs und Blog-Posts sind relevant, ebenso wie das Geschäftsmodell und Updates. Gut ergänzen ließe sich das alles insbesondere durch Interviews oder Gruppendiskussionen mit realen User*innen. In diesem Projekt, das auf einer Masterarbeit basiert, konnten wir das empirisch leider nicht umsetzen.

Die Forschungsfragen, welche wir in diesem Projekt beantworten wollten, lauteten (etwas vereinfacht):

  • Wie wird Resilienz innerhalb der App SuperBetter sprachlich eingebettet, wie digital vermittelt?
  • Wie werden User*innen angesprochen? Wie soll ich mich als User*in zu mir selbst und anderen User*innen verhalten?
  • Welche Ziele und Zwecke gibt die App vor? Was bedeutet Erfolg, wie wird er erfasst?
SuperBetter

Als selbsternannter Marktführer unter den Resilienz-Apps ist SuperBetter kostenlos für iOS und Android verfügbar.5 Eine gebührenpflichtige Version für Unternehmen, SuperBetter At Work, wurde 2018 vorgestellt, aber bis dato nicht bis zur Marktreife entwickelt. In einem TED-Talk mit über sieben Millionen Views präsentierte die Gründerin, Jane McGonigal, ihre App als ‚The game that can add 10 years to your life‘.6

Wie bei vielen Apps üblich, empfängt mich beim ersten Öffnen ein Welcome-Screen (Abb. 1). So werde ich als User*in in die Bild- und Textsprache der App eingeführt. Markant ist hier das bunt strahlende Logo ‚SB‘. Das lila Schriftfeld ‚I want to play!‘ unten zeigt durch Farbe, Form und Schattierung, dass es ein Button ist: Wenn ich es antippe, passiert etwas (im Gegensatz zum restlichen Text auf dem Screen). In diesem Fall wird mir eine euphorisch-aktive Formulierung quasi in den Mund gelegt, welche das ganze gleichzeitig als ‚Spiel‘ rahmt.

Doch bevor dieses Spiel beginnen kann, muss ich noch eine ‚Challenge‘ wählen (Abb. 2). Hier hilft mir SuperBetter mit einer Vorauswahl an Optionen weiter, die von Angststörung und Depression bis zur Gewichtsabnahme und mehr ‚will power‘ reichen. Ohne auf diese einzelnen Punkte im Detail eingehen zu können, ist für uns hier spannend, dass die Auswahl obligatorisch ist, um in den Hauptteil der App zu gelangen. Ohne Herausforderung kann man SuperBetter nicht ‚spielen‘.

Im alltäglichen User-Interface, nachdem Welcoming und Challenge-Wahl durchlaufen sind, erwartet mich als erstes eine To-Do Liste (Abb. 3). SuperBetter gliedert sich in Power-Ups, Bad Guys und Quests. Alle Begriffe sind an die Videospiel-Kultur angelehnt. Power-Ups sind kleine alltägliche Dinge, die mir guttun, wie z.B. ein kurzer Spaziergang.

Bad Guys werden in der App definiert als „habits and mindsets that hold you back from feeling your best”, z.B. Trägheit (‘The Sticky Chair’) oder übermäßige Selbstkritik (‘The Self-Critic’). Quests schließlich sind Aufgaben, die mich meinem – je nach Challenge definiertem Ziel – näherbringen. All diese To-Do‘s muss ich regelmäßig abhaken, um Resilienz-Punkte zu sammeln, Abzeichen zu erhalten und ein ‚Level‘ aufzusteigen. Meine Erfolge kann ich über Facebook oder Twitter teilen (Abb. 4). Darüber hinaus sehen meine Freund*innen (‚Allies‘) in der App auf einem internen Forum automatisch meine neuesten Aktivitäten (Abb. 5).

Wenn ich meine Spielstände über die Desktop-Version am Computer öffne, kann ich auch detaillierte Graphen, Kurven und Diagramme zu meinen (verschiedenen) Resilienz-Scores einsehen. Dieses Format erinnert an das populäre Fitness-Tracking, das hier offenbar auf psychische Parameter umgelegt wurde. Sie errechnen sich einerseits aus meinem App-Nutzungsverhalten, andererseits aus kurzen Fragebögen zu meinem emotionalen und körperlichen Befinden, die ich regelmäßig ausfüllen kann (Wellbeing- & SuperBetter Tracker).

Kritik

Die App SuperBetter adressiert, wie wir uns fühlen und was wir in unserem Alltag machen. Dabei bindet sie psychisches Innenleben und alltägliches Verhalten in ein Punktesystem ein. Die App gibt sogar konkrete Handlungsanweisungen und Feedback. Das „Leben erscheint als ein „machbares Spiel“.7 So lässt sich unterscheiden und vergleichen, wer ‚resilienter‘ ist. Als User*in sehe ich mich unter dem Druck, meine Resilienz-Punkte-Kurve nicht absacken zu lassen. Unterstützung, aber potenziell auch Scham sind wahrscheinlich, wenn befreundete User*innen (Allies) meine Aktivitäten in der App einsehen können.

Worte wie Challenge, Play, Allies, Bad Guys und Quests suggerieren, dass ich mich in einem Kampf, zumindest in einem Wettbewerb befinde. Doch wo ist der Gegner? In mir selbst, wie die Bad Guys am deutlichsten zeigen. Um in der Definition von SuperBetter resilient zu sein, muss ich in erster Linie gegen meinen eigenen ‚inneren Schweinehund‘ kämpfen, nicht etwa gegen prekäre Arbeitsbedingungen oder sexistische Anmaßungen. Denn für mein eigenes ‚Glück‘ bin ich nach dieser Logik ganz allein verantwortlich.8 ‚Change your actions, not your circumstances’ und ‚mach das Beste draus‘, ist auch ein Motto der Positiven Psychologie, die im Entwickler*innen-Team von SuperBetter stark vertreten ist.9 Die eigenen Lebensumstände, d.h. vor Allem menschengemachte Krisen, außen vor zu lassen, ist jedoch ziemlich genau das Gegenteil von politischem Aktiv-Werden, gemeinschaftlicher Organisation und Solidarität.10 Und somit ist die individualistische und psychologisierende Resilienz, die SuperBetter und ähnliche Apps uns verkaufen wollen, vermutlich gerade nicht das, was Zeiten wie diese fordern.


Moritz Meister ist erweitertes Mitglied der Forschungsplattform #YouthMediaLife, Doktorand an der Fakultät für Psychologie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten. Dieser Text basiert auf dem Fachartikel Digitale Dispositive psychischer Gesundheit. Eine Analyse der Resilienz-App ‚SuperBetter‘, gemeinsam mit Thomas Slunecko, in ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung, 2-2021 (S. 242-265). Online unter https://doi.org/10.3224/zqf.v22i2.05

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Referenzen
  1. Tugade, M.M., & Frederickson, B.L. (2004). Resilient Individuals Use Positive Emotions to Bounce Back From Negative Emotional Experiences. Journal of Personality and Social Psychology, 86(2), 320-333. https://doi.org/10.1037/0022-3514.86.2.320 p. 320; Übersetzung M.M.
  2. Für einen Überblick siehe Fröhlich-Gildhoff, K., & Rönnau-Böse, M. (2019). Resilienz (5. Aufl.). München: Ernst Reinhardt Verlag.
  3. Bröckling, U. (2017). Gute Hirten führen sanft: Über Menschenregierungskünste. Berlin: Suhrkamp. S. 115
  4. Light, B., Burgess, J., & Duguay, S. (2018). The walkthrough method: An approach to the study of apps. New Media & Society, 20(3), 881–900. https://doi.org/10.1177/1461444816675438
  5. https://www.superbetter.com/
  6. https://www.ted.com/talks/jane_mcgonigal_the_game_that_can_give_you_10_extra_years_of_life
  7. Nosthoff, A.-V., & Maschewski, F. (2019). Die Gesellschaft der Wearables. Berlin: Nicolai. S. 25
  8. Duttweiler, S. (2007). Sein Glück machen: Arbeit am Glück als neoliberale Regierungstechnologie. Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft.
  9. Sheldon, K. M., & Lyubomirsky, S. (2006). Achieving sustainable gains in happiness: Change your actions, not your circumstances. Journal of Happiness Studies, 7(1), 55-86. https://doi.org/10.1007/s10902-005-0868-8; zum wissenschaftlichen Team siehe https://blog.superbetter.com/our-superbetter-scientists/
  10. Vgl. Graefe, S. (2019). Resilienz im Krisenkapitalismus: Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit. Bielefeld: transcript Verlag.

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