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„Youthless policy is useless policy“ – aus dem Leben einer Europäischen Jugenddelegierten

European Youth Goals
(c) Hannah Sattlecker

Es gab eine Zeit, in der ich keine Ahnung davon hatte, dass Jugendpolitik etwas ist, woran 27 EU-Mitgliedsstaaten regelmäßig gemeinsam arbeiten. Genauso wenig wusste ich, dass „Erasmus“ viel mehr ist als die Möglichkeit, an einer anderen Universität zu studieren. Und hätte mir jemand gesagt, dass es eine Institution gibt, die seit 20 Jahren meine Rechte und Interessen als junge Person vertritt, ich hätte es vielleicht nicht geglaubt.

Was hat sich von damals zu heute für mich verändert? Anfang 2019 war ich auf der Suche nach einem neuen Engagement. Inspiriert von einem Nebenjob als Moderatorin für EU-Workshops in Schulen hat mich die Ausschreibung der Bundesjugendvertretung (BJV), in der eine neue EU-Jugenddelegierte gesucht wurde, angelacht. Und wann war ich plötzlich in dieser neuen Funktion.

Heute weiß ich, dass diese europäische Zusammenarbeit als „EU-Jugendstrategie“ einen eigenen Namen hat. ERASMUS hat sich als deutlich vielfältigere Austausch- und Vernetzungsmöglichkeit quer durch Europa erwiesen und mir bereichernde Lernmomente beschert. Und die erwähnte Institution ist die Bundesjugendvertetung, durch die ich erst Jugenddelegierte geworden bin und all das und noch viel mehr gelernt habe.

Aber was ist das überhaupt, ein „European Youth Delegate (EYD)?

European Youth Delegates werden für jeweils zwei Jahre (aus)-gewählt, um die BJV auf europäischer Ebene zu vertreten. Ausgewählt wird nach geschlechtsparitätischen Prinzipien, das heißt, jeweils ein männlicher und eine weibliche Youth Delegate arbeiten in einem Mandat zusammen. Auf Konferenzen (wie der EU-Jugendkonferenz) und Versammlungen (wie der Mitgliederversammlung des Europäischen Jugendforums) und in Arbeitsgruppen tragen die Delegierten die Anliegen junger Menschen in Österreich nach Europa und bringen europäische Perspektiven zurück nach Österreich.

Jugend und Politik – ein Dialog auf Augenhöhe?

Ich habe die Funktion als European Youth Delegate zwei Jahre lang ausgeübt – von 2019 bis 2020. Von all den interessanten Veranstaltungen sowie Austausch- und Vernetzungstreffen ist mir ein Satz besonders in Erinnerung geblieben: „Die Jugend ist die Zukunft.“ Und ja, das kann ich definitiv bestätigen, denn das Engagement, das ich während dieser zwei Jahre erlebt habe, zeugt von einer kämpferischen, wissbegierigen und hochengagierten Jugend, die das Gegenteil von politikverdrossen ist und auf keinen Fall als „Lost Generation“ in eine Opferrolle gedrängt werden möchte. Der Satz hat mich vor allem deshalb nachdenklich gestimmt, weil er, von politischer Seite gebetsmühlenartig wiederholt, irgendwann zu einer leeren Phrase wurde. Eine der wichtigsten Formen institutionalisierter jugendpolitischer Beteiligung ist der EU-Jugenddialog. In diesem arbeiten jeweils drei Länder zusammen an jugendpolitischen Zielen und ermöglichen über einen Zeitraum von 18 Monaten Jugendbeteiligung an jugendpolitischen Zielen in unterschiedlichen Online- und Offlineformen. Dazu gehört auch die Organisation einer EU-Jugendkonferenz, in der junge Menschen und Entscheidungsträger*innen zusammenkommen, um Jugendpolitik zu diskutieren. In der Realität sieht ein solcher „Dialog“ aber oftmals anders aus. Während junge Menschen oftmals einige Tage stundenlang (und oft bis in den späten Abend) zusammensitzen, an Ideen und Lösungsansätzen feilen und Ziele formulieren, sind Politiker*innen oft nur für einige Stunden vor Ort, manchmal gar nur für eine Podiumsdiskussion anwesend, bei der einige ausgewählte Fragen gestellt werden dürfen. Wenn die Jugend wirklich die Zukunft ist – wieso wird ihnen dann nicht mehr Raum gegeben?

Wenn junge Menschen zusammenkommen – Hürden der virtuellen Jugendbeteiligung

Ein solcher Dialog wird nicht einfacher, wenn er plötzlich in die virtuelle Welt verlegt wird. Und genauso hat die Situation nach einem Jahr EYD-Engagement ausgesehen. Als Jugenddelegierte waren wir viel unterwegs – und genau diese Möglichkeit, sich europäisch bewegen und austauschen zu können, machte einen unglaublich spannenden und lohnenden Teil unsere Tätigkeit aus. Da konnte eine Konferenz noch so trocken und Diskussionen noch so zäh sein – mit dem Wissen, dass der wohlverdiente Ausklang beim Abendessen kurz bevorstand und der Nachtzug zum nächsten spannenden Austausch schon gebucht war, hielt man gerne ein bisschen länger durch. Zusätzlich zum Wegfallen des physischen Kontakts wurde es auch einfacher, sich als Politiker*in von einem Meeting ins nächste zu verabschieden, wenn Fragen zu unbequem wurden. Den Breakout-Room konnte man eben viel schneller verlassen als den echten Konferenzraum. Aber es war nicht nur der Dialog mit Politiker*innen, der darunter litt, auch in der Vernetzung unter uns jungen Menschen klaffte plötzlich eine Lücke. Die hitzigen Debatten, Kaffeepausen, die zu neuen hitzigen Debatten führten und die gemeinsam erlebte „Freiheit“ vor der Tür, wenn man nach einem langen Konferenztag den Saal verließ. Gleichzeitig: war es früher finanziell oder logistisch für eine Person unmöglich, an einer Konferenz teilzunehmen, so bot der Zoom-Link plötzlich für jede*n eine Möglichkeit, Teilnehmer*in zu sein. Wer dem sozialen Gewusel solcher Veranstaltungen aus dem Weg gehen wollte, der konnte jetzt einfach mal kurz die Kamera ausschalten und den „Raum“ verlassen.

Ein Blick in die Zukunft

Insgesamt hat sich aber gezeigt, dass Online-Treffen physisches Zusammentreffen niemals gänzlich ersetzen kann – trotz der Vorteile, die eine hybride Form solcher Treffen mit sich bringt. Vor allem die hohe psychische Belastung junger Menschen während der Pandemie hat gezeigt, wie wichtig reale Orte der Begegnung sind, die wir jetzt – in Zeiten großer Herausforderungen, die vor allem uns junge Menschen betreffen werden – stärken sollten, um an einer jugendgerechten Zukunft Europas zu arbeiten. Wir müssen dabei nicht von Null anfangen – über 50.000 junge Menschen haben sich im Jahr 2018 Gedanken über die Zukunft Europas gemacht und die sogenannten „11 European Youth Goals“ formuliert. Um wirksame Jugendpolitik zu betreiben, müssen junge Menschen mitentscheiden, das heißt, wortwörtlich am Verhandlungstisch dabeisitzen. Bloßes Zuhören ist dabei nicht genug. Wenn das nicht der Fall ist, dann bleibt Beteiligung nur Schein, dann fühlen wir uns nicht ernstgenommen in der Schaffung von Perspektiven. Das aktuelle „Europäische Jahr der Jugend“ und Projekte wie die „Konferenz zur Zukunft Europas“ kann man als Chancen sehen, um sowohl aus den Errungenschaften als auch aus den Fehlern vergangener Konferenzen zu lernen. Eine Chance, dass wegweisende Zukunftsideen nicht nur am Flipchartpapier stehen bleiben, sondern in konkrete politische Maßnahmen münden. Wir haben – das habe ich versucht darzustellen – einen sehr starken Rahmen europäischer Jugendpolitik. Doch ohne wirksame Maßnahmen fängt er an zu bröckeln.


Hannah Sattlecker finished her BA in German language and literature as well as Education Science in Vienna, where she focused on Political Education, Migrant Pedagogy, and modern Austrian literature. She spent one semester in Sweden during her studies, mainly focusing on adult education through a comparative perspective. From 2019-2021, she volunteered for the Austrian National Youth Council for two years as a European Youth Delegate, representing young people in Austria on a European level. After working as a facilitator for workshops on integration and migration, Hannah moved to Copenhagen to start a master’s in “Advanced Migration Studies” in September 2021. Currently, she is living in Brussels and doing an internship in a research center focusing on migration and minorities.

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